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Beschreibung

Die Kooperative Beratung stellt sich vor

Die Kooperative Beratung ist eine theoriefundierte und praxisorientierte Beratungsmethode. Sie wurde 1988 als eigenständige Beratungsmethode von Prof. Dr. Wolfgang Mutzeck entwickelt und 1993 im Rahmen einer Studie der Bund-Länder-Kommission evaluiert. Seiher wird sie in vielen pädagogischen Handlungsfeldern eingesetzt.
Das Besondere an der Kooperativen Beratung ist die Gleichwertigkeit vom Expertenteam, von Berater und Ratsuchendem. Der Ratsuchende wird als Experte für sich, seine Mitwelt und sein Umfeld gesehen. Der Berater ist Methoden- und Arbeitsfeldexperte. Damit werden optimale Bedingungen für die Kompetenzen und Ressourcennutzung und für eine Klärung und Lösungsfindung geschaffen.

Grundlagen der Kooperativen Beratung

Die Konzeption der Kooperativen Beratung ist als eine Meta- oder Schachteltheorie zu sehen (siehe nachfolgende Abbildung). Die äußere Hülle bilden die Menschenbildannahmen, welche die Beratungskonzeption als Basis hat und alle weiteren Rahmen bedingt. Der darunter liegende Rahmen beinhaltet die Gegenstandskonzeption, d.h. die Handlungs-, Entwicklungs- und Störungstheorie. Den Kern bildet die Beratungskonzeption im engeren Sinne (i.e.S.), d.h. Struktur, Methoden und Setting der Kooperativen Beratung.

Bei der Entwicklung der Kooperativen Beratung ist versucht worden, eine möglichst konsistente und stringente Konzeption zu erreichen. Das heißt, das zugrunde gelegte Menschenbild, der Mensch als reflexives Subjekt, die Handlungstheorie und die Konzeption zu Gesprächsführung und Beratung stehen nicht im Widerspruch zueinander, sondern sie weisen eine hohe Stimmigkeit auf.

19 Bezugsrahmen neu

  Popp/ Melzer & Methner (2011, 19)

Menschenbildannahme

 

Ob wir über Menschen forschen, ob wir sie unterrichten, diagnostizieren oder sie beraten, bei keiner geplanten Tätigkeit arbeiten wir ohne grundsätzliche Vorstellungen vom Menschen. Dabei haben wir implizite oder explizite Annahmen und Sichtweisen über seine grundsätzlichen Fähigkeiten.

 

Die Explikation der Menschenbildannahme ist für eine Theorie, die den Menschen auch als Gegenstand von Beratung hat, eine notwendige Voraussetzung. Menschenbildannahmen dienen zur Orientierung mit dem Ziel einer regulativen und korrektiven Funktion.

 

Der Zugang zu einem Gegenstand, in diesem Fall dem Menschen in einer Beratungssituation, ist also nicht voraussetzungsfrei. Das Gegenstandsverständnis, mit anderen Worten die zu Grunde gelegte Menschenbildkonzeption, beeinflusst den Beratungsprozess auf vielfältige Weise, z.B. wie der Berater die Vorgehensweise strukturiert und ob er bestimmte kommunikative Bedingungen herstellt oder nicht.

 

Experten, seien es Wissenschaftler oder Praktiker, die eine Konzeption einer Professionalisierung erstellen, sollten deshalb den Anwendern ihrer Verfahren die zu Grunde gelegten Menschenbildannahmen zugänglich machen. Dieses explizite Gegenstandsverständnis bildet den Rahmen, in dem die Konzeption der Theorie und Methode einer Professionalisierung, hier die Kooperative Beratung, formuliert wird (vgl. Abbildung 1).

 

Das vorliegende Modell orientiert sich an einem humanistischen Menschenbild, insbesondere an der ?Psychologie des reflexiven Subjekts? (Groeben u.a. 1988, Mutzeck 1988) sowie an den Ansätzen der personzentrierten, der systemischen und der kommunikationstheoretischen Psychologie.

 

Der Mensch ist ein universelles, ganzheitliches Wesen, welches von seinen generellen Möglichkeiten her (potentiell) die Fähigkeiten des Denkens, einschließlich des Entscheidens und Wollens, des Fühlens, des Sprechens und des Handelns, besitzt. Bezugssystem dieser potentiellen Fähigkeiten sind dessen Körperlichkeit und Spiritualität einerseits und die Umwelt, Sozialität und Historizität andererseits. Der Mensch kann zu sich selbst in Beziehung treten (Intra-aktion) und zu seiner Umwelt, insbesondere zu seinen Mitmenschen (Inter-aktion). Er ist ein potentiell aktives Wesen.

 

Die Menschenbildannahmen der psychologischen und pädagogischen Theorie "Der Mensch - ein reflexives Subjekt" umfassen vor allem folgende potentielle Fähigkeiten:

 

 

           
            • Reflexivität
            • Rationalität, Intentionalität
            • Sinnorientierung, Erkenntnisfähigkeit
            • Emotionalität
            • Verbalisierung- und Kommunikationsfähigkeit
            • Handlungskompetenz
            • Autonomie.

 

 

Auch wenn diese wesentlichen Fähigkeiten des Menschen einzeln benannt sind, bilden sich doch eine Einheit, eine Ganzheit (weitergehende Ausführungen s. Mutzeck 1988; 2008a). Das heißt nicht, dass der Mensch zu jeder Zeit und in jeder Situation rational denkt, handelt usw.; es wird nur postuliert, dass er grundsätzlich dazu fähig ist und diese Ressourcen (weiter-)ent-wickeln und nutzen kann.

Handlungs- und Störungstheorie

 

Der zweite Rahmen des Beratungsansatzes Kooperative Beratung (siehe Abbildung 1) ist eine Handlungs- und Störungskonzeption auf der Grundlage der explizierten Menschenbildannahmen. Der Mensch ist ein überwiegend handelndes Wesen. Handlung ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

 

Handlung geht über den Begriff Verhalten hinaus, da sie die mentalen Prozesse einbezieht und sie in Verbindung zur Umwelt in Bezug auf Aktualität, Sozialität und Historizität setzt.

 

Für die Erklärung von Handlung sind die internen mentalen Prozesse, die Wert- und Selbstsicht einer Person in Bezug zum Verhalten und zur Umwelt Ausschlag gebend.

 

Handlung zeichnet sich dadurch aus, dass sie

 

          
  • bewusst,
  • zielgerichtet,
  • geplant bzw. planvoll,
  • absichtlich (willentlich),
  • interaktiv (Mensch-Umwelt-bezogen),
  • normen- und wertorientiert,
  • aus mehreren Möglichkeiten gewählt, abgewägt und entschieden und damit subjektiv sinnvoll mit der Bedeutung versehen ist und
  • dass der Handelnde (unter diesen Prämissen) mit den ihm als geeignet und sinnvoll erscheinenden Mitteln versucht, etwas zu verändern, zu erhalten oder eine Veränderung zu verhindern bzw. sie absichtlich zu unterlassen.

 

So gesehen ist davon auszugehen, dass das Verhalten von Menschen im Wesentlichen auf Zielorientierung, Planung, Entscheidung und Sinnhaftigkeit beruht und daraus folgend eine Handlung darstellt. Die Zielorientiertheit und Sinnhaftigkeit von Handlungen kann ein Außenstehender, ein Beobachter aber nur erschließen, indem er das von ihm Beobachtete interpretiert. Der Handelnde selbst (jedoch) kann, soweit er sich der Inhalte seiner mentalen Prozesse bewusst ist, Auskunft über sie geben. Indem er sein Handeln in Verbindung setzt zu seinen Zielen, Plänen und Entscheidungen, interpretiert er auch, da er die Wirklichkeit nur so darstellen (konstruieren) kann, wie er sie sieht und erlebt.

 

Eine Interpretation geschieht also sowohl vom Außenstehenden, vom Beobachter als auch vom Handelnden selbst. Der entscheidende Unterschied ist aber: ?Die Interpretation des Beobachters (hinsichtlich der Intentionen, Handlungsgründe etc.) kann nie unmittelbar in Richtung auf eine Handlungsentscheidung, -ausführung etc. wirksam werden; die Selbstinterpretation des Handelnden jedoch muss nicht, kann aber operativ wirksam werden.? (Scheele & Groeben 1986, 5).

 

Im Vordergrund der Beschreibung und Erklärung von Handlungen steht somit die Innenperspektive, das Erfassen der subjektiv-individuellen Sichtweise (Konstruktion) von Wirklichkeit. Die Sicht von Außen, die beobachtbaren Verhaltensweisen und Situationsbedingen sollen jedoch ebenso festgestellt werden.

 

Die Handlung einer Person ist als ein kontextgebundenes Geschehenssystem zu sehen, wobei die jeweilige Person mehreren Systemen gleichzeitig angehört. Ein Schüler z.B. lebt in den Systemen Familie, Schule, Freundeskreis, Sportverein etc. Seine Handlungen sind an den jeweiligen Kontext gebunden, beziehen aber entsprechend seiner Wahrnehmung und Informationsverarbeitung andere Systeme mit ein. Ein Handlungsmodell auf der Grundlage des Menschen als reflexivem Subjekt in seinen systemischen Bezügen stellt keine geradlinige Ursache-Wirkungs-Beziehung dar, sondern eher einen zirkulären Rückkopplungsprozess. Handlung ist ein wechselseitiges inter- und intraaktives Geschehen.

 

Nicht der Kontext an sich bestimmt die Handlung einer Person, sondern deren individuellen mentalen Prozesse der Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Handlungsplanung sowie deren Einflussfaktoren in Bezug zum Kontext.

 

Ein Individuum nimmt aus einem Kontext bestimmte Informationen wahr, andere nicht (Wahrnehmungsprozess). Diese wahrgenommenen Informationen verarbeitet es, indem es Bedeutungszuschreibungen, Schlussfolgerungen und Interpretationen vornimmt (Informationsverarbeitung). Bei der Erschließung kann es auch zu Informationen kommen, die nur zu einem kleinen Teil auf beobachteten Informationen beruhen (z.B. auf Grund nonverbaler Körpersprache oder Kleidung). Diese Prozesse werden von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst (s. Abbildung 2), die wiederum auf den Informationen der dargestellten Prozesse beruhen. Die inter- und intraaktiven Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozesse führen dann zur subjektiv konstruierten Wirklichkeit, auf deren Grundlage eine Handlungsplanung und die Ausführung einer Handlung bzw. deren Unterlassung, Aufschiebung, Unterbrechung vorgenommen werden. Wird eine Handlung an einem anderen Ort geplant als am Handlungsausführungsort, kann es nach der Planung noch zu Veränderungen, Anpassungen und neuen Entscheidungen kommen, entsprechend den erneuten Bewertungen der Handlungssituation, z.B. den veränderten antizipierten Handlungsfolgen. Insbesondere können plötzliche, starke Emotionen eine Handlungskonzeption völlig verändern.

 

Aus der Sicht dieser Handlungstheorie ist bei den meisten normalen wie abweichenden Verhaltensweisen davon auszugehen, dass die Person, die ein Verhalten ausführt, sich etwas dabei gedacht hat oder sogar ganz gezielt und planvoll vorgeht. Ein von Gedanken und Empfindungen ausgehendes Verhalten wird als Handeln bezeichnet.

 

Wir unterliegen allerdings einer Illusion, wenn wir meinen, die Wirklichkeit objektiv (unabhängig von sich selbst) erfassen zu können. Der Konstruktivist von Foerster bringt die grundlegenden Argumente des Denkmodells "Wirklichkeitskonstrukion" auf den Punkt, wenn er sagt: "Objektivität ist die Wahnvorstellung eines Subjekts, dass es beobachten könnte ohne sich selbst!" (zit. N. Rotthaus 1987, S 21).

 

Menschen handeln also nicht auf Grund der Informationen, die ihnen die soziale und situative Umwelt gibt, sondern auf Grund der internen Bilder, die sie sich von der Welt und sich selbst machen (s. Abbildung 2). Der Handelnde ist also sowohl der empirische Ort der Konstruktion von Wirklichkeit als auch von Sinnhaftigkeit seiner (subjektiv-individuellen) Handlungen. ?Was wir erleben und erfahren, erkennen und wissen, ist notwendigerweise aus unseren eigenen Bausteinen gebaut und lässt sich auch nur auf Grund unserer Bauart erklären? (von Glasersfeld 1981, 35).

 

Das Handlungsmodell und die damit verbundene Wirklichkeitskonstruktion sind für den Beratungsprozess von großer Bedeutung, sowohl für die Betrachtung, Erklärung als auch für die Lösung eines Problems.

 

Eine ausführliche Darstellung der Handlungs-, Entwicklungs- und Störungstheorie, die der Kooperativen Beratung zu Grunde liegt und aus der viele Strukturierungen und Orientierungen zur Beratungen erfolgen, ist zu finden in Mutzeck 2008a.

 

Beratungskonzeption

Der Beratungsansatz Kooperative Beratung vermeidet eine belehrende und asymmetrische Haltung und Vorgehensweise des Beraters. Stattdessen soll eine verstehende, kooperierende und symmetrische Interaktion aufgebaut und unterstützt werden. Diese beiden Arten von Beratung unterscheiden sich grundsätzlich voneinander:

Bei der direktiven (vertikalen) Beratung bestimmt und lenkt allein der Berater den Gesprächsverlauf. Er setzt unmittelbar die Struktur der Beratung fest. Er zeigt ein aktives Gesprächsverhalten, indem er viele direkte Fragen stellt, informiert, erklärt, interpretiert, Vorschläge und Handlungsanweisungen unterbreitet, aus seiner Expertensicht heraus. Die Kommunikationsbeziehung zwischen Berater und Ratsuchenden ist asymmetrisch und vertikal.

direktiv

Vertikale und horizontale Beratung vgl. Mutzeck (2008a, 33)

 

Das heißt, es gibt ein "oben", das Expertenwissen des Beraters, und ein "unten", die Hilfsbedürftigkeit des Ratsuchenden. Die Mitarbeit des Klienten ist reaktiv und rezeptiv und selten nachhaltig. Bei dieser vertikalen Beratung wird von einer Hierarchie der unterschiedlichen Wertigkeit der Kompetenzen ausgegangen. Höherwertig ("oben") sind die Fähigkeiten und Kenntnisse des Beraters, seine Beratungs- und Fachkompetenz. Niederwertig ("unten") hingegen werden die Kompetenzen des Ratsuchenden eingestuft. Überspitzt formuliert lautet die Sichtweise eines so eingestellten Beraters: "Ich kenne Ihr Problem und sage Ihnen, wie Sie es lösen sollten."

 

Die horizontale, wenig direktive Beratung hingegen ist gekennzeichnet durch Herstellung und Stützung der Aktivität des Ratsuchenden. Ihm werden Kompetenzen zugeschrieben, seine Ressourcen und Möglichkeiten so zu aktivieren, dass er sein Problem mitlösen bzw. weitgehend selbst lösen kann. Der Berater gibt hierzu Impulse und Hilfestellungen. Die Kommunikationsbeziehung ist beim kooperativen Vorgehen symmetrisch und horizontal sowie nachhaltig vertrauensvoll und umsetzungsorientiert.

Bei dieser kooperativen Art von Beratung werden die Kompetenzen des Beraters und des Ratsuchenden als gleichwertig angesehen, d.h. die Kenntnisse und Sichtweisen des Ratsuchenden über sich und seine Lebens- und Berufswelt sowie seine Ressourcen und Fähigkeiten, mit sich selbst und seinen Mitmenschen umzugehen, sind wertvoll und sehr bedeutsam. Durch die Explikation der Selbst- und Weltsicht des Ratsuchenden wird der Sinn seines Handelns offenbar und damit eine Veränderung oder Erweiterung seiner handlungsleitenden Gedanken und Empfindungen. Berater und Ratsuchender erkennen die Bedeutung der Kompetenzen des anderen an und versuchen zu kooperieren, "sich miteinander zu beraten". Bei dieser symmetrischen, horizontalen Vorgehensweise ist die Rollenverteilung nicht "Ratschläge erteilen" bzw. "Ratschlänge empfangen und befolgen", sondern gemeinsam unter methodischer Leitung des Beraters den Weg der Klärung und der Lösung des Problems (Frage, Aufgabe, Konflikt) sowie der Umsetzung des erarbeiteten Handlungswegs zu gehen. Der Ratsuchende wird bei dieser Form von Beratung stets zu einem aktiv Handelnden.

Methode und Form der Kooperativen Beratung

Grundstruktur

Die Kooperative Beratung ist eine systematische, personzentrierte und ressourcenorientierte Gesprächsführung und Problemlösungsmethode, bei dem der Berater dem Ratsuchenden durch sein Handeln verdeutlicht, dass

         
  • er sich bemüht, eine vertrauensvolle Kommunikation sowie eine durch Akzeptanz, Empathie und Kongruenz geprägte Beziehung herzustellen und dass
  • er durch ein kooperatives, zielgerichtetes, strukturiertes, transparentes und dialog-konsensuales Vorgehen mit ihm gemeinsam sein Problem zu verstehen und zu erklären versucht, Ressourcen erkundet und nutzt, Lösungen erarbeitet, Handlungsschritte plant und deren Durchführung begleitet und reflektiert.

 

Gesprächsführung

Die Grundhaltungen einer wirksamen personzentrierten Gesprächsführung sind: Akzeptanz, Empathie und Kongruenz (Rogers 1983, Tausch & Tausch 1990, Mutzeck 2008a Mutzeck 2008a). Diese Denkweise einer inneren Haltung muss in der konkreten Handlung des Beraters, in den eingesetzten Elementen der Gesprächsführung  zum Ausdruck kommen. Als wesentliche Methoden der Gesprächsführung zur erfolgreichen Umsetzung einer Kooperativen Beratung haben sich folgende Berateraktivitäten bewährt:

            
  • direktes, persönliches Ansprechen
  • Anteilnahme zeigen durch aktives Zuhören
  • Dialogkonsens
  • zum Konkretisieren veranlassen
  • Ansprechen von Gedanken
  • Verbalisieren von Gefühlen.

(Diese und weitere Methoden der Gesprächsführung sind in Mutzeck 2008b ausführlich beschrieben).

Ferner sollte der Berater Fehler wie Bewerten, Belehren, Moralisieren, Bagatellisieren oder vorschnelle Lösungssuche unbedingt vermeiden. Die innere Haltung und die Beratungsaktivitäten werden nicht nur geäußert durch Verbalisierungen des Beraters, sondern sie werden auch sichtbar durch seine Mimik, seine Gestik und dem Blickkontakt. Nicht selten kommt es zu Widersprüchen zwischen den verbalen und den nonverbalen Ausdrucksformen. Auch allein schon deswegen ist Training (in Aus- und Fortbildung) und Supervision des Beraters sehr wichtig.

Problemlösestruktur der Kooperativen Beratung

Die Struktur und die Schritte der Kooperativen Beratung haben das Ziel, zu einer Problemlösung zu führen. Sie basieren auf einer sehr einfachen und wirkungsvollen Problemlösungsstrategie:

 

     30  Problemlösungsprozess bei der KB                                    
  1. Ist-Zustand (zu verändernde, gegenwärtige Ausgangssituation)
  2. Soll-Zustand (angestrebte Situation, Ziel-, Endzustand)
  3. Lösungsweg (Handlungen, mit denen die Ist-Soll-Diskrepanz überwunden werden soll sowie die Rahmenbedingungen dafür)

Durch langjährige Erfahrungen bei der Durchführung von Lehrertrainings und Beratungen und auf Grund einer Untersuchung zum Transfer von Fortbildungsinhalten in den Berufsalltag (Mutzeck 1988) kommt der Mutzeck zu folgenden Schritten einer subjektbezogenen und transferorientierten Problemlösungskonzeption (Mutzeck 1992):

 

         
  • Beschreibung des Problems und der Ressourcen
    Was war geschehen? Was dachte und empfand ich dabei? Wie erlebe ich das Problem jetzt? Welche Kompetenzen und Ressourcen sind vorhanden bzw. können reaktiviert werden?
  • Perspektivewechsel
    Wie mag der Interaktionspartner die Situation gesehen haben?
  • Analyse der Situation und Benennen der Unzufriedenheit
    Was macht mich unzufrieden? Was will ich verändern?
  • Ableiten und Entwickeln einer Zielsetzung und sich bewusst dazu entscheiden
    Wie soll der Zustand aussehen, den ich erreichen will?
  • Sammeln und Erarbeiten von zielannähernden Handlungswegen, Lösungen, Alternativen
    Welche Wege könnten zum Ziel führen?
  • Autonome Entscheidung für einen der möglichen Handlungswege
    Für welchen der aufgezeigten Wege entscheide ich mich?
  • Planung und Vorbereitung der Umsetzung meines Weges in den Berufsalltag
    Wie sehen die Schritte aus, die zu meinem Ziel führen? Was und wer könnte mir helfen, diese Schritte in meinem Berufsalltag zu verwirklichen?
  • Begleitung, Analyse und Unterstützung des Versuchs, den Handlungsweg umzusetzen
    Wie ist die Umsetzung bzw. Nichtumsetzung meines Vorhabens verlaufen? Was wirkte förderlich, hilfreich bzw. störend oder gar verhindernd?

(Die nähere Beschreibung der Beratungsschritte ist zu finden im Taschenbuch Kooperative Beratung, Mutzeck 2008a)

Hinweise zur Anwendung der Kooperativen Beratung

Die Kooperative Beratung ist nicht zu verstehen als ein geschlossenes System. Trotz ihrer Strukturiertheit und des ausformulierten Vorgehens ist sie als eher offen zu betrachten und anzuwenden:

      (1) Die Vorgehensweise in der Kooperativen Beratung ist verzweigt und nicht linear; d.h. nicht jedes Gespräch muss alle Beratungsphasen durchlaufen und ein Wiedereinsteigen in eine vorangegangene Phase kann sehr sinnvoll und nützlich sein, wenn das Ziel noch nicht erreicht ist oder das Problem sich verändert hat. Zum Beispiel kommt es häufiger vor, dass nach dem Perspektivewechsel oder der Analyse der Situation der Ratsuchende eigene Anteile erkennt und großes Interesse zeigt zunächst an sich zu arbeiten bevor er sich Gedanken macht, wie das Verhalten des für ihn problematischen Interaktionspartners (Schüler, Kollege, Eltern, etc.) geändert werden kann.

      (2) Die Kooperative Beratung kann entsprechend des jeweiligen Ziels der Beratung angewendet werden. Ist ein Problem, Konflikt etc. zu lösen, dann sollten alle neun Schritte durchgeführt werden. Die Beratungsmethode ist aber auch geeignet, nur die Gesprächsführungselemente oder einzelne Beratungsschritte zu verwenden. Hierzu einige Beispiele: Geht es um eine Schullaufbahn- oder Integrationsberatung, muss der Berater entsprechende Informationen geben, damit der Gesprächspartner die notwendigen Fakten, Zusammenhänge kennt und sich entscheiden kann. In diesem Fall ist es z. B. sinnvoll, wenn er sich das Anliegen des Ratsuchenden anhört (hier verwendet er die Elemente der Gesprächsführung, anschließend entsprechende Informationen gibt (neutral und nicht besserwisserisch oder bevormundend) und danach die Entscheidung vorbereitet, indem er z.B. den Perspektivewechsel (Schritt 3), die Ressourcenerkundung und das Verbalisieren von Gedanken und Gefühlen aus der Problem- und Ressourcenbeschreibung (Schritt 2) einsetzt. Daran können sich die Schritte Lösungsfindung (6), Entscheidungsfindung (Schritt 7) und Vorbereitung der Umsetzung (Schritt 8) anschließen. Der Gesprächspartner kann aber auch die Entscheidung ohne diese Hilfen während der Beratung oder zu Hause treffen.

Geht es z.B. um eine Planung (Projekt, Schulkonzept, etc.), so ist es z.B. hilfreich, die Schritte Zielfindung (Schritt 4), Lösungsfindung (Schritt 6), Entscheidungsfindung (Schritt 7) und Vorbereitung der Umsetzung (8) zu durchlaufen. Vor oder nach der Lösungsfindung kann auch die Ressourcenerkundung eingesetzt werden. Auch dieses Vorgehen hat sich als das ziel- und ergebnisorientiert sowie arbeitsfördernd erwiesen.

Auch in anderen Beratungsgesprächen ist die Anwendung der Elemente der Gesprächsführung und einzelnen Schritte der Kooperativen Beratung hilfreich und unterstützend, z.B. innerhalb der Diagnostik zur Feststellung eines (sonder-)pädagogischen Förderbedarfs, zur Nachbereitung einer Hospitation, in Zielvereinbarungsgesprächen etc.

       (3) Die Struktur der Kooperativen Beratung ist für Ergänzungen und Erweiterungen offen. So kann es z.B. hilfreich sein, den mehr "diagnostischen" Teil der Beratung (Schritte 1-4) durch Unterrichtsbeobachtungen, Gespräche mit anderen direkt oder indirekt Beteiligten oder durch andere diagnostische Verfahren zu ergänzen. Auch durch pädagogische und therapeutische Elemente, z.B. aus der systemischen Beratung, dem Psychodrama, der Gestalttherapie oder der Kognitionspsychologie, lässt sich die Kooperative Beratung erweitern. Entscheidend ist, dass die Stimmigkeit zu den Bezugsrahmen, insbesondere zu den Menschenbildannahmen, sichergestellt ist und die ergänzten Elemente kompetent ausgeführt werden. Ferner kann es Beratungskonstellationen geben, bei denen es förderlich, teilweise sogar nötig ist, besondere Settings und Strukturierungen vorzunehmen und Materialien einzusetzen (Gender-, Jugend-, Migrationsberatung etc.; sogar in der genetischen Beratung (Jung 2004) hat man sich der Kooperativen Beratung bedient.

In der Kooperativen Beratung mit Kindern z.B. hat es sich als sehr hilfreich erwiesen, mit Materialien und/oder Spielen zu arbeiten. Besonders bewährt haben sich die Playmobilfiguren und die Settings wie Klassenzimmer, Schulbus, Wohnräume, Krankenhauszimmer (die ebenfalls von Playmobil erhältlich sind). Bei der Rekonstruktion von Problemsituationen unter Anwendung von Rollenspiel, Figuren und dem entsprechenden Setting (s. Mutzeck 2000) sollte allerdings nach einem spezifischen Ablauf vorgegangen werden, um kein Phantasiespiel, sondern konkrete Situationsbeschreibungen zu erhalten, auch wenn es sich dabei, wie bei allen Problemschilderungen, um eine individuelle subjektive Wirklichkeitskonstruktion handelt. Eine ausführliche Beschreibung des Vorgehens ist zu finden in Mutzeck (2000, S. 142 ff.). Hinweise zur Beratung mit Kindern und Jugendlichen gibt es bei: Potthoff 1995, Lenz 2001, Sturzbecher 2001, Weinberger 2001, von der Haar 2003, Delfos 2004, Ryan & Walker 2004, Köster-Goorkotte & Chow 2004, Reutlinger 2004, Langer & Langer 2005, Hekele 2005, Steinebach & Steinebach 2006.

Ferner hat die Kooperative Beratung auch Eingang gefunden in der Gruppenberatung mit Schülern (Kooperativer Klassenrat). In wöchentlichen Abschlussrunden wird der Verlauf der Woche reflektiert und es werden Probleme beschrieben, Lösungen gesucht, Planungen vorgenommen, Rückmeldungen gegeben und Umsetzungen kontrolliert. Dieser Kooperative Klassenrat wird zwar von einer Lehrkraft eingeführt und begleitet, die Schüler übernehmen jedoch zunehmend selbst die Leitung. Dabei erlernen sie auch demokratische Umgangsformen, wie Selbständigkeit, Verantwortung und adäquate Problemlösungskompetenzen (Mutzeck 2008b)Mutzeck 2008b). Ebenfalls hat sich die Kooperative Beratung in der Prävention und Intervention bei Gewalt und anderen aggressiven, Verhaltensweisen als erfolgreiche Methode der Mediation bewährt (Mutzeck 2008b).

      (4) Die Kooperative Beratung ist in diesem Artikel überwiegend als Einzelberatung beschrieben. Sie wurde, nachdem sie ihre Bewährungsprobe bestanden hat, weiterentwickelt. Heute gibt es viele spezielle Methoden der Kooperativen Beratung, um für besondere Anforderungen und Aufgaben im beruflichen Alltag von Pädagogen, Lösungshilfen und Unterstützungen geben zu können.

Diese speziellen Methoden wie Kooperative Teamberatung, Kollegiale Supervision, Kooperatives Coaching von Jugendlichen oder Erwachsenen, Kooperative Erstellung und Fortschreibung von Förderplänen (KEFF), Kooperative Unterrichtsberatung sind beschrieben in: Mutzeck, W. (2008b): Methodenbuch Kooperative Beratung. Beltz Verlag.

Personen, die die Kooperative Beratung erlernt haben (s.u.) und sie in ihrer Berufspraxis anwenden wollen, müssen sich manchmal erst die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, um beraterisch tätig werden zu können; und zwar auf der persönlichen, der räumlichen, materiellen Ebene und gelegentlich auf der Ebene des Systems, z.B. Schule, Förderzentrum etc. Hinweise, die zur Erleichterung de Innovation und Implementierung der Kooperativen Beratung beitragen, sind zu finden in Mutzeck 2008a.

Literatur:

Delfos, M.F. (2004): ?Sag mir mal ??. Gesprächsführung mit Kindern. Weinheim, Basel.

Glasersfeld, v.E. (1981): Einführung in den radikalen Konstruktivismus. In. Watzlawick, P.: Die erfundene Wirklichkeit. München & Zürich.

Groeben, N./Wahl, D./Schlee, J./Scheele, B. (1988): Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien. Eine Einführung in die Psychologie des reflexiven Subjekts. Tübingen.

von der Haar, E. (2003): Jugendberatung. Leitfaden für die Praxis in der Jugendarbeit, Ausbildung und Schule. München.

Hartmann, B./Melzer, C./Mutzeck, W. (2008): Evaluation der Fortbildung der Kooperativen Beratung und ihr Transfer sowie ihrer Transfereffekte im Schulalltag. (In Vorbereitung)

Hekele, K. (2005): Sich am Jugendlichen orientieren. Weinheim und München: Juventa.

Huber-Haftmann, N./Fingerle, M. (2007). Beratung zwischen Schulung und Alltag. Eine qualitative Studie zum Theorie-Praxis-Transfer in der Ausbildung zur Kooperativen Beratung. In. Zeitschrift für Heilpädagogik, Heft 5, 162-167.

Köster-Goorkotte, I./Chow, S. (2004): Beratungsprozesse mit Kindern. In: Nestmann, F., Engel, F./Sickendiek, U. (Hg.): Das Handbuch der Beratung, Band 1: Disziplinen und Zugänge. Tübingen, 257-267.

Langer, I./Langer, S. (2005): Jugendliche begleiten und beraten. München.

Lenz, A. (2001): Partizipation von Kindern in Beratung und Therapie. Entwicklungen, Befunde und Handlungsperspektiven. Weinheim, München.

Mutzeck, W. (1988): Von der Absicht zum Handeln. Rekonstruktion und Analyse subjektiver Theorien zum Transfer von Fortbildungsinhalten in den Berufsalltag. Weinheim.

Mutzeck, W. (1992): Grundlagen und Methoden der Beratung in sonderpädagogischen Handlungsfeldern. Hagen.

Mutzeck, W. (2000): Verhaltensgestörtenpädagogik und Erziehungshilfe. Bad Heilbrunn.

Mutzeck, W. (2005, 1. Auflage 1996): Kooperative Beratung. Grundlagen und Methoden der Beratung und Supervision im Berufsalltag. Weinheim.

Mutzeck, W. (2008a): Kooperative Beratung. Grundlagen, Methoden, Training, Effektivität. Weinheim.

Mutzeck, W. (2008b): Methodenbuch Kooperative Beratung. Teamberatung, Coaching, Supervision, Unterrichtsberatung. Weinheim.

Potthoff, U./Steck-Lüschow, A./Zitzke, E. (1995): Gespräche mit Kindern. Gesprächssituationen, Methoden, Übungen, Kniffe, Ideen. Frankfurt am Main.

Reutlinger, Chr. (2004): Beratung für Jugendliche. In: Nestmann, F./Engel, F./Sickendiek, U. (Hg.): Das Handbuch der Beratung, Band 1: Disziplinen und Zugänge. Tübingen, 269-279.

Rogers, C.R. (1983): Klientenzentrierte Psychotherapie. In: Corsini, R.J. (Hg.): Handbuch der Psychotherapie. Weinheim, Basel, 471-512.

Rotthaus, W. (1987): Erziehung und Therapie in systemischer Sicht. Dortmund.

Ryan, T./Walker, R. (2004): Wo gehöre ich hin? Biographiearbeit mit Kindern und Jugendlichen. Weinheim, München.

Scheele, B./Groeben, N. (1986): Eine Dialog-Konsens-Variante der Ziel-Mittel-Argumenta-tion. Heidelberg.

Steinebach, U./Steinebach, C. (2006): Jugendberatung. In: Steinebach, C. (Hg.): Handbuch Psychologische Beratung. Stuttgart, 355-373.

Sturzbecher, D. (Hg.) (2001): Spielbasierte Befragungstechniken. Göttingen.

Tausch, A./Tausch, R. (1990, 9. ergänzte Auflage): Gesprächspsychotherapie. Göttingen.

Weinberger, S. (2001): Kinder spielend helfen. Eine personenzentrierte Lern- und Praxisanleitung. Weinheim, Basel.

 

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